We are the enemy.
Liebe SIDizens,
ich schreibe euch aus dem Urlaub. Endlich habe ich Zeit, in aller Ruhe zu lesen, nachzudenken und Ideen zu Papier zu bringen. Also theoretisch. Denn praktisch dreht sich von morgens bis abends alles darum, die oft gegenläufigen Interessen einer fünfköpfigen Familie unter einen Hut zu bekommen. Also alles wie immer 🙂
Im Arbeitsalltag ist es nicht anders: Kommunale Wärmeplanung, Windpark projektieren, Bürger mitnehmen, Wettbewerbsdruck im Strommarkt, große und kleine Alltagsprobleme, eine Ostsee-Sturmflut, und so weiter und so fort. Das hält auf Trab. Aber das ist noch etwas. Ich meine nicht den Klimawandel, denn der wirkt ja sowieso. Sondern ein Wandel der Diskussion, einen Kulturwandel, möglicherweise ein Kulturkampf.
Worum geht es? Lange Jahrzehnte hatte ich den Eindruck, die Welt verändert sich grundsätzlich zum Besseren. Die Offenheit der Gesellschaft nimmt zu, Wissenschaft nicht Religion erklärt die Welt, die EU wächst, immer bessere Technik am Start … Aber so ist es leider nicht geblieben. Der Populismus ist in der westlichen Welt auf dem Vormarsch, Wissenschaftler werden diskreditiert, der Brexit kam (und führt zum erwarteten Wohlstandsverlust) und Technologieoffenheit ist ein inzwischen der Kampfbegriff des Verhinderns und Verzögerns.
Immerhin gab es einen unerwarteten Verbündeten: Investoren. Zu den größten der Welt gehört Blackrock, die Kollegen verwalten 10.000 Milliarden Dollar. Larry Fink hatte vor gut drei Jahren ambitionierte Klimaziele ausgegeben. Genauso der norwegische Staatsfond, dem beeindruckende 1,5% aller Aktien (!) der Welt gehören. Nur: Viele Taten sind leider nicht gefolgt, vielmehr wird die Kommunikation (nach einigem Gegendruck) massiv zurückgefahren.
Und hier scheint auch der beschriebene Kulturkampf zu starten. Marc Andreessen, einer der Leitsterne und Protagonisten des Silicon Valleys, Unternehmer einer frühen Internetwelle und Gründer des Risikokapitalgebers Andreessen Horowitz (die waren u. a. bei AirBnB, Facebook, Instagram und Twitter dabei, schon krass) hat das „Techno-Optimistische Manifest“ veröffentlicht. Und das hat es in sich.
Der Kerngedanke: Technologischer Fortschritt ermöglicht Wachstum, Wachstum macht den Kuchen größer, das löst die Probleme der Menschheit und allen geht es besser:
„We believe everything good is downstream of growth.“
Das ist kein neuer Gedanke. Neu ist aber eine Einbettung in ein Narrativ, das aus dem Handbuch des Populismus abgeschrieben scheint. „DIE DA OBEN“ haben sich gegen „UNS“ verschworen. Andreessens erster Satz ist:
„We are being lied to.“
Ich finde es bemerkenswert, dass jemand, der weit oben in der globalen Nahrungskette steht, das „Die-da-oben-belügen-uns, wir-müssen-aufwachen, wir-müssen-uns-wehren, wir-müssen-kämpfen“-Narrativ bemüht.
Sein Manifest kritisiert alle und alles, die sich dem technischen Fortschritt entgegenstellen: Staaten, Bürokratie, Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Bedenkenträger. Vielmehr soll Individualismus und harter Wettbewerb die Gesellschaft voranbringen:
„Techno-Optimists believe that societies, like sharks, grow or die.“
Ebenfalls neu ist ein deutlich formuliertes Feindbild.
„We have enemies.
Our enemies are not bad people – but rather bad ideas.
Our present society has been subjected to a mass demoralization campaign for six decades – against technology and against life – under varying names like “existential risk”, “sustainability”, “ESG”, “Sustainable Development Goals”, “social responsibility”, “stakeholder capitalism”, “Precautionary Principle”, “trust and safety”, “tech ethics”, “risk management”, “de-growth”, “the limits of growth”.
Ich habe den Eindruck: Der meint mich, der meint uns. Klar, es gilt abzuwarten, ob dieses Manifest tatsächlich Wirkung entfaltet. Doch zu sagen: Die Menschheit hat sich in der UN auf die Sustainable Development Goals geeinigt, der Klimavertrag von Paris gilt, Haken hinter – daran habe ich verstärkt Zweifel.
Ich, Du, wir alle müssen für unsere Werte und Positionen kämpfen. Jede und jeder auf seiner Position und Wirkungsfeld. Nur dann haben wir die Chance, das Erreichte auszubauen. Den Klimawandel in den Griff kriegen. Teilhabe am Gemeinwesen selbstverständlich werden lassen. Technischen und zivilisatorischen Fortschritt zu gestalten.
Und die Welt bereisen können.
|